Zitat aus: « Über Thomas Bernhard »

Zitat aus: « Über Thomas Bernhard »

[…] In den beiden Vorspielen des Stücks

[__«Ein Fest für Boris»
von Thomas Bernhard__]

wird vorgeführt, wie das Gute, durch die [«]Gute[»] verkörpert, nur äußerlich, nur eine Rolle ist, wie alle Kontakte der [«]Guten[»]

— des [«]Guten[»] —

zur Welt bloß zynisch sind. Ihre «guten» Handlungsweisen sind Maskierungen des Bösen in ihr […]

Das erste Vorspiel zeigt verdorrtes, beschädigtes Dasein, in dem alles eine Wiederholung von Wiederholungen ist, von Unwahrheiten und Unzulänglichkeiten, die die Existenz verfinstern; das zweite weist Rollen und Verhaltensweisen aus, welche Menschen sich unter Qualen zulegen, um sich selbst und einer Umwelt vorzuspielen, ihre Existenz sei noch normal und funktioniere noch. Das Fest für Boris schließlich, das die Krüppel singend ankündigen

— «Jetzt kommt die Düsternis,
jetzt kommt die Finsternis» —

spielt auf den Tod zu, in dem das Böse aufgehoben wird. Der Tod hebt Rollen auf, zerstört die Inszenierung der [«]Guten[»], für die das Fest für Boris ein eigennütziges Spiel war, um die eigene Verkrüppelung zu vergessen; in dem darum alle sich gleichen mußten, in dem selbst die noch unbeschädigte Johanna

— Projektion des Wunsches nach
«Gesundheit» und Konzentrationspunkt
allen Hasses, der aus dem Leiden kommt —

eine Beinlose zu spielen hatte.

In Artauds Vorstellung vom Theater wird das Böse «erst im letzten und höchsten Augenblick, wenn alles, was Form war, wieder ins Chaos zurückkehren will», aufgehoben. Thomas Bernhard setzt für das Chaos den Tod: den Augenblick von Wahrheit, in dem einzelne ihre Rolle aufgeben und sich zeigen können, wie sie wirklich sind, und gleichzeitig

— in ihrem Abtreten —

die Existenz der anderen bloßlegen.


Elke Kummer / Ernst Wendt: „Die Schauspieler in den Schauspielern der Schauspieler“, in: „Über Thomas Bernhard“, herausgegeben von Anneliese Botond, edition suhrkamp 401,
1. Auflage, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1970, die Seiten 124 f.


Mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp Verlages.